Eröffnungsrede auf der Integralen Europäischen Conference in Ungarn am 25. Mai 2023

Willkommen zu dieser Konferenz mit dem Thema Planetares Erwachen 2.0 - als Bence und ich ein Brainstorming für den Titel durchführten, war mein ursprünglicher Vorschlag „Planetares Bewusstsein“ – was  mit Erwachen verwandt ist, aber mit einer etwas anderen Betonung auf die mehr als menschliche Welt.

Ich bin überzeugt, dass dies der nächste Schritt ist, den die Menschheit braucht, um auf diesem Planeten zu überleben und zu gedeihen. Zu erwachen und sich nicht nur als getrennte Individuen, nicht einmal als eine Menschheit, bewusst zu werden - obwohl das schon sehr hilfreich wäre - sondern als Ausdruck des Planeten. Um gemeinsam globale, planetare Lösungen zu finden, als eins - miteinander und mit der Natur.

Ich möchte euch gerne die Struktur dieser Konferenz erläutern und das ungewöhnliche Format erklären, das wirklich mein Baby ist, also lasst mich die Geschichte seiner Empfängnis und Geburt erzählen.  

Vor fast 10 Jahren, im Herbst 2013, als Bence, Dennis Witrock und ich die erste IEC vorbereiteten, erhielten wir unerwartet mehr als 200 Bewerbungen von Referenten, von denen wir noch nie etwas gehört hatten und von denen die meisten wirklich spannend klangen. Wir wussten nicht, dass es in Europa einen solchen Reichtum an integralen Denkern und Praktikern gab! Anstatt also 80 % von ihnen abzulehnen – das hätte mir das Herz gebrochen und ich hätte auch gar nicht gewusst, wenn ich auswählen sollte – beschlossen wir, ihnen nur 20 Minuten Zeit zu geben, um ihr Thema in einem kurzen Format wie ein TED-Vortrag zu präsentieren. Wir fanden dann heraus, dass sie in Themen wie Politik, Gesundheit oder Spiritualität eingeteilt werden konnten. 

Wir beschlossen außerdem, mehr Wert darauf zu legen, das Publikum - also euch - zu aktivieren, um einen "Resonanzkörper" zu bilden. In jeder Sitzung schaffen wir Gelegenheiten für euch, euch darüber auszutauschen, was euch an dem Gehörten wirklich bewegt hat und welche Fragen und neuen Impulse ihr mitnehmt.

Ab morgen wird also jeder Tag gleich strukturiert sein:

Um 7 Uhr gibt es verschiedene optionale Angebote für eine Morgenpraxis. Nach dem Frühstück um 9 Uhr treffen wir uns alle in diesem Raum zu 2 Stunden Impulsvorträgen. 

Während dieser Zeit gibt es den Elevator Pitch, d.h. nach der ersten Keynote werden alle Redner und Workshop-Leiter des Tages in Gruppen nach vorne gerufen und jeder von ihnen übernimmt für 30 Sekunden das Mikrofon. Auf diese Weise können sich die Zuhörer ein Bild machen vom Thema und der Art und Weise, wie es präsentiert wird, und sich außerdem einen allgemeinen Eindruck davon verschaffen, was in jedem dieser Räume in einer bestimmten thematischen Kategorie angeboten wird. 

Für die Vortragenden gilt: Bitte steh nicht alle auf wenn es losgeht, ihr werdet zuerst an den Rand der Bühne gerufen, eine Gruppe nach der anderen, in der Reihenfolge, wie sie im Programm steht. Wir werden das gleich mit den drei Abendveranstaltungen heute Abend und den Morgenveranstaltungen morgen früh üben. 

Nach der Kaffeepause um 11 Uhr bitten wir Sie, sich für einen Raum der thematischen Sektion zu entscheiden und dort die ganze Sitzung über zu bleiben. Es wird nicht funktionieren, nach dem ersten oder zweiten Vortrag den Raum zu wechseln, denn wir werden in der zweiten Hälfte jeder Sitzung die Intelligenz der Menge aktivieren, um wirklich die spannenden Fragen zu erhalten, die die Evolution vorantreiben. Und dafür müssen Sie alle die gleichen Vorträge gehört haben.

Jeder Raum wird von einem Moderator betreut, der Sie durch den gesamten Prozess führen wird. In diesem Jahr haben wir ein wunderbares Team von 24 gut informierten und fähigen Moderatoren, von denen ihr einige vielleicht schon von den Online-Konferenzen kennt - und sie sind wirklich mit Begeisterung darauf eingestellt, die Sitzungen zu moderieren. Nach den zwei oder drei 20-minütigen Präsentationen werden die Moderatoren den Raum umorganisieren und kleine Stuhlkreise mit etwa 5 Personen bilden, um euch in den Dialog zu führen. 

Wenn ihr das hört, fühlt ihr euch vielleicht unbehaglich. Ihr möchtet nicht, dass man euch sagt, wann ihr reden sollt und wie ihr reden sollt - Ihr würdet euch lieber zurücklehnen und zuhören. Und es ist gut, dieses Unbehagen zu bemerken! Lasst uns den Mut haben, aus unserer Komfortzone herauszutreten. 

Für diejenigen von uns, die - wie ich - die Strategie entwickelt haben, viel zu reden und immer alles besser zu wissen, ist es wichtig, den Mund zu halten. Nicht nur das, sondern auch unser inneres Geplapper zu unterbrechen. Wirklich zuhören. Nicht nur ein freundliches Gesicht aufsetzen, und dabei innerlich schon proben, was wir als nächstes sagen wollen!  

Und für die Introvertierten unter uns, die die Strategie haben, immer zuzustimmen und zu schweigen, ist es wichtig, den Mund aufzumachen. Es sind die Stummen, die Unsichtbaren, die die größten Schätze bergen. 

Ich erlebte den Dialog zum ersten Mal bei einem Integralen Treffen in Deutschland im Jahr 2010 und sah, wie in relativ kurzer Zeit eine große Gruppe von Fremden ein Gespräch führen kann, bei dem jeder gehört wird und die Ergebnisse mit allen geteilt werden. Seitdem bin ich wirklich begeistert vom Dialog. Es gibt viele verschiedene Formate wie das World Café oder den Bohm'schen Dialog, und es entstehen ständig neue Varianten. Allen gemeinsam ist, dass man lernt, aus den eigenen Gedanken und Gefühlen heraus in der Gegenwart zu sprechen und von ganzem Herzen zuzuhören. 

Das ist mir sehr wichtig: Um die großen Probleme dieses Planeten auf eine erwachte Weise anzugehen, müssen wir zu reifen Wesen heranwachsen, die verschiedene Perspektiven einnehmen können. Und es reicht nicht aus, Integrale Theorie zu studieren, um ein konzeptionelles Verständnis zu haben, Meditation zu praktizieren und Schattenarbeit zu machen, obwohl all diese Faktoren wesentlich sind, um eine integrale Lebenspraxis aufzubauen. Vielleicht müssen wir dem Satz Wake up Grow up Clean up und Show up den Zusatz Team up hinzufügen! 

Im Dialog lernen wir, der anderen Person zuzuhören und wirklich zu spüren, was sie ausdrücken möchte. Gleichzeitig hören wir auf unseren eigenen Körper, unser Herz und unseren Geist. Wir lernen zu bemerken, wenn es Resonanz gibt, wenn es Widerstand gibt, wenn wir getriggert werden und wenn ein neuer Gedanke auftaucht. All das ist ein wunderbarer Treibstoff für Wachstum. Wir lassen die alten Gewohnheiten des Festhaltens an unserer Meinung los, die alten Geschichten, die wir uns immer wieder erzählen. Wir lassen los, dass wir Recht haben wollen, dass wir ein Argument gewinnen wollen. Stattdessen sind wir mehr an dem interessiert, was wir noch nicht wissen. 

Fühlt bitte in euch hinein: Wenn ihr mit einer neuen Frage konfrontiert werdet, bevor ihr versucht, sie zu beantworten, gesteht euch zuerst ein: "Ich weiß es nicht". Lasst das auf euch wirken. Das Nichtwissen öffnet einen weiten Raum voller Möglichkeiten und Chancen für Emergenz. Und die neuen Gedanken und Ideen, die in diesem Raum entstehen, können neue Lösungen für die immer komplexeren Probleme unseres Planeten hervorbringen. 

Albert Einstein wurde oft zitiert: „Ein Problem kann nicht von der Bewusstseinsebene aus gelöst werden, die es geschaffen hat.“ Indem wir verschiedene Perspektiven austauschen und unseren Geist für Ideen öffnen, an die wir vorher nicht denken konnten, ermöglichen wir es unserem Geist, flexibel und lebendig zu werden und neue Strategien, neue Geschichten zu entwickeln. 

Mein Lieblingszitat von Ken Wilber ist: „Niemand ist klug genug, um immer falsch zu liegen.“ Oder anders ausgedrückt: Die Frage ist nicht „Wer hat Recht?“, sondern „wie passen all diese verschiedenen Ansichten zusammen?“ Außerdem: „Was ist die positive Absicht meines scheinbaren Gegners?“  

Und seien wir mal ehrlich, es gibt so viel Konkurrenzdenken innerhalb der Integralen Szene, die verkündet, dass meine Theorie oder Methode die fortschrittlichste ist, die Wörter mit Markenzeichen belegt, die gemeinschaftlich und frei sein sollten, ehemalige Freunde und Verbündete, die nur noch über ihre Anwälte miteinander reden. Lassen Sie uns das anerkennen und akzeptieren. Wir sind Menschen. Wir können sicher sein, dass wir teilweise Recht und teilweise Unrecht haben. Und anstatt zu versuchen, den Teil zu beweisen, mit dem ich Recht habe, sollten wir neugierig darauf werden, in welcher Hinsicht wir uns geirrt haben. Lernen zuzugeben, dass wir uns geirrt haben, ohne Scham oder Schuldzuweisung. 

Mein verstorbener tibetischer Lehrer Akong Rinpoche widmete sein erstes Buch dem Wachstum der Demut. Das war in den letzten 41 Jahren mein Leitstern. Zu lernen, demütig zu sein. Still zu sein. Wirklich mit offenem Herzen und Mitgefühl zuzuhören, vor allem, wenn die Person, die gerade spricht, Unbehagen in mir auslöst. Wenn ich das Gefühl habe, dass sie im Unrecht ist und ich die richtigen Antworten habe. Solange wir in so absoluten Begriffen von richtig und falsch denken, sehen wir nicht das ganze Bild. Die Wahrheit liegt im Paradox. Sie findet sich in dem, was uns Unbehagen bereitet, weil es neu und unerwartet ist. Und wir sollten dann diese neu gefundenen Wahrheiten leicht nehmen und sie nicht gleich wieder zu einem Ding machen, das man besitzen kann. Lasst uns den Schmetterling der Emergenz nicht zerquetschen!

Hier bei der IEC befinden wir uns also in einer einzigartigen Situation: Wir treffen uns mit mehreren hundert Menschen, die sich für die gleichen seltsamen Dinge interessieren wie wir. Den ganzen Tag über können wir diese Art von Gesprächen mit interessanten Menschen führen. Und wenn ich von Konversation spreche, sind Worte nicht der wichtigste Teil. Es ist die innere Haltung, unsere Körpersprache, der Gesichtsausdruck, das, was wir in den Augen des anderen sehen, wenn wir wirklich zuhören. Hier ist ein sicherer Raum, um dies zu üben und diese wichtigen Fähigkeiten für die Herausforderungen des wirklichen Lebens zu entwickeln. 

Vor allem nach den vergangenen Jahren der sozialen Distanzierung, des Home Office und des Heimunterrichts, vielleicht nach Monaten oder gar Jahren, in denen wir keinen anderen Menschen berührt haben, in denen wir ein Lächeln nur auf Bildschirmen gesehen haben. Nutzen wir diese Gelegenheit, um füreinander da zu sein, um uns wirklich berühren zu lassen - körperlich, emotional und intellektuell. Uns sicher und genährt zu fühlen. Nützlich und erwünscht. 

Das war also die Geschichte meines Babys, das Format der Sektionen und des Dialogs, aber das führt uns nur bis zur Mittagszeit in der Struktur dieser Konferenz.

Nach den thematischen Sektionen haben wir also eine zweistündige Mittagspause, in der wir vielleicht die Gelegenheit haben, das Spa oder den See zu besuchen. Um drei Uhr wird Kaffee serviert, bevor die Nachmittags-Workshops beginnen, die Gelegenheit bieten, in die Tiefe zu gehen, den Intellekt ruhen zu lassen und Erfahrungen mit Körper, Seele und Geist zu machen. Wir haben beschlossen, diese Sitzungen nicht aufzuzeichnen, damit Ihr euch sicher fühlen könnt, um loszulassen und euch vielleicht Aspekten von euch selbst zu stellen, die ihr allein nicht erreichen könnt. Auch hier könnt ihr zwischen 10 verschiedenen Workshops wählen. Natürlich wird dadurch die Angst ausgelöst, etwas zu verpassen - aber zumindest hatten wir die Chance, den Workshop-Leiter beim Elevator Pitch zu sehen. Viele von ihnen halten auch eine kurze Präsentation, so dass man zwar nicht auf allen Hochzeiten tanzen kann, wie wir auf Deutsch sagen, aber einen Vorgeschmack auf viele verschiedene Methoden und Theorien bekommt, die man später weiterverfolgen kann.

Nach dem Abendessen gibt es täglich, außer am letzten Abend, einen offenen Begegnungsraum – nicht hier im Saal, wie im Programm steht, sondern draußen im Foyer. (In diesem Raum bauen wir noch einmal die Bühne um) Vielleicht habt ihr schon die Posterausstellung im Foyer gesehen - viele Referenten haben ein Poster zu ihrem Thema mitgebracht, so dass dies eine weitere Möglichkeit ist, sich für einen Themenraum und einen Workshop zu entscheiden oder sich über ein Thema zu informieren, das ihr verpasst habt. Wir arbeiten noch daran, die Stellwände bereitzustellen, ich bin mir sicher, dass wir dafür noch eine Lösung finden – und wenn nicht, dann organisiert euch selbst. Vielleicht müsst ihr euer Poster selbst hoch halten und das ist gleich eine gute Gelegenheit, mit Interessenten ins Gespräch zu kommen!

Jeden Abend gibt es außerdem einige zusätzliche Angebote wie die Single-Veranstaltungen, die Gebets- und Filmabende am Mittwoch und Donnerstag und den ekstatischen Tanz am Freitag. Am Samstagabend findet die Konferenz ihren Höhepunkt mit einer kollektiven türkisen Erfahrung – mit Überraschung... Ich bin schon sehr gespannt, denn es wird etwas Neues sein, wobei die Elemente eines vegetarischen oder Fleischgulaschs, das über offenem Feuer gekocht wird, sowie eines weiteren großen Feuers zum Tanzen und Live-Musik erhalten bleiben. 

Am Sonntagnachmittag endet die Hauptkonferenz, aber einige von uns werden noch zum Gala-Dinner mit Open-Mic-Bühne bleiben oder sogar an der Tour teilnehmen. 

Vielen Dank.